Immer wieder mal höre ich Stimmen, die da sagen: „Was machen diese Entwickler eigentlich den ganzen Tag? – Überall hängen bunte Zettel rum, manchmal sogar Bilder und sie spielen Lego! – Und dann diese Menge Meetings – Arbeiten die überhaupt mal?“
In Anbetracht, dass es Bereiche in Organisationen gibt, die sich stark unter Druck erleben, kann es schon geschehen, dass die Stimmung beim Betrachten derartiger „Zustände“ angespannt ist. Aber warum Arbeiten Software-Entwickler oftmals so, wie wir das – auch bei genua – tun?
Das Framework von Dave Snowden kann uns eine Sichtweise vorstellen, warum wir so arbeiten:
Das Modell unterteilt Systeme in fünf mögliche Dimensionen: einfache Systeme, komplizierte, komplexe und chaotische Systeme.
Die fünfte Dimension beschreibt einen Zustand des „Nicht-Wissens“ welche Art der Kausalität überhaupt vorliegt.
In diesem Zustand greifen die Menschen in der Regel auf ihre Komfort-Zone zurück.
Bei einfachen Tätigkeiten sind Ursache-Wirkung klar. Die Strukturen sind leicht verständlich. Dies trifft auf viele Tätigkeiten in unserem Tagesgeschäft zu.
Schwierige Systeme sind nur schwer verständlich und brauchen viel Analyse bevor man zum Erfolg kommt. Wenn ich die geeigneten Pläne habe, so gelingt es mir (hoffentlich), einen Wecker auseinander- und wieder zusammenzubauen.In anderen Bereichen, wie dem Flugzeugbau, brauche ich zusätzliche Kenntnisse zu bewährten Praktiken, um die Aufgabe zu erfüllen.
Gemeinsam ist beiden Montagen, dass sie – mit geeignetem Know-How – planbar sind.Tätigkeiten in komplexem Umfeld zeichnen sich dadurch aus, dass Ursache-Wirkung erst im Nachhinein sichtbar werden. Hierzu zählen Erfindungen, ebenso die Softwareentwicklung. Wir brauchen emergente Praktiken, wie z.B. prototypisches Herantasten und Reflexion, um die Ergebnisse zu überprüfen und die Vorgehensweise anzupassen.
Zum chaotischen Bereich zählen wir z.B. Feuer oder, im Arbeitskontext, Experimente. Es ist im System keine Ursache-Wirkung erkennbar. Hier brauchen wir innovative Praktiken, um Lösungen zu finden.
Einfache, mechanische Tätigkeiten können auch noch unter hohem Druck erfüllt werden. Ich denke dabei an eine Fließbandtätigkeit. (Ob sie uns Spaß macht, sei mal dahin gestellt).
Bei kompliziertere Arbeiten, die Analyse benötigen, wird Druck dann schon zu einem Hindernis. Druck verringert die Denk- und Analysefähigkeiten enorm und die Fehlerquote steigt mit steigendem Druck.
Kreative Denkarbeiten, die dem komplexen System zugeordnet werden, benötigen geistigen Freiraum, um Ideen zu erkennen, zu erproben und sinnhaft umzusetzen. Druck ist dabei sehr kontraproduktiv. Viele erinnern sich vielleicht daran, dass die besten Ideen beim Duschen „kamen“ und nicht etwa zu einem Zeitpunkt, als wir uns sehr auf eine Sache konzentriert haben? Das liegt daran, dass Kreativität und Konzentration „gleichzeitig“ nicht möglich ist.
Im agilen Umfeld versuchen die Modelle Scrum, Kanban, XP… diese Phänomene zu nutzen. Wir trennen Schätzung (divergentes Denken) vom Planning (konvergentes Denken). Wir nutzen Retrospektiven, um unsere Ergebnisse im Nachhinein besser zu verstehen. Was hilft? Was ist weniger hilfreich? Und wir nutzen Kreativitäts-Techniken (z.B. Lego), um neue Lösungen für alte Probleme zu erarbeiten. Dazwischen haben wir die Phasen, in denen wir die „eigentliche“ Arbeit machen. Das erscheint von außen als „wenig“ – wenn man davon ausgeht, dass Kreativität ja eigentlich keine Arbeit ist? Wenn wir jedoch davon ausgehen, dass Kreativität ein Bestandteil der Tätigkeit ist, dann sollten wir dafür sorgen, dass wir in einer Umgebung arbeiten, die frei von Druck ist. Scrum versucht dies, mit den geschützten Sprints, d.h. keine ungeplanten Zuruf-Aufgaben, zu erreichen.
Im chaotischen Kontext, wie z.B. das Löschen eines Großbrands, müssen alle Beteiligte einen ruhigen Kopf bewahren. Druck kann hier noch zusätzliche Leben gefährden.
Nun höre ich schon die vielen Stimmen: „Aber wir haben Druck – wir haben Termine – das alles können wir uns nicht leisten…“
Ja, die Geschwindigkeit und die Anforderungen sind hoch. Und wir sind oft verführt, über lange Zeit unter hohem Druck zu arbeiten. Doch der Preis ist hoch: Steigende Anzahl von Fehlern, Krankheit und Unzufriedenheit – von Kunden und Mitarbeitern.
Ein Spaziergänger sieht einem Holzfäller, der einen riesigen Haufen Holz hackt. Das geht ziemlich langsam, weil seine Axt stumpf ist. Der Spaziergänger fragt den Mann, warum er denn nicht zuerst die Axt schärft. Der Holzfäller deutet auf den Holzhaufen, der noch vor ihm liegt und antwortet: Das ist doch klar – sehen Sie das nicht? Keine Zeit!
Aus diesem Grund möchte ich erinnern, dass wir viele Praktiken und Vorgehensweisen kennen, die uns unterstützen können, aus diesem Kreislauf auszusteigen.
Wenn wir sie nutzen, dann haben wir hoffentlich alle Spaß: Kunden & Mitarbeiter.
Scrum Master bei genua Gmbh (2016)
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