Bettina Ruggeri: In der Gewaltfreien Kommunikation spricht man von „Gewalt“, wenn Kommunikationsteilnehmer ihre Bedürfnisse auf Kosten anderer durchsetzen. Auch im Umgang mit sich selbst können wir häufig einen gewaltvollen Umgang feststellen, an der Art wie wir über uns selbst oder mit uns selbst sprechen.
Die Haltung der GFK legt zugrunde, dass die Bedürfnisse aller gleich wichtig sind und die Menschen gerne zum Wohle anderer beitragen, so lange dies freiwillig geschieht. Der Kommunikationswissenschaftler Thomas Gordon hat folgende Kommunikationsformen als nicht hilfreich für ein konstruktives Miteinander definiert:
Diese Arten der Kommunikation, die wir alle aus dem Alltag kennen, tragen dazu bei, dass unsere Kommunikationspartner innerlich und äußerlich vor uns zurückweichen.
Bettina Ruggeri: Wie bereits erwähnt, ist unser Alltag aus Sicht der GFK sehr häufig gewaltvoll. Unsere Kultur ist geprägt von besser, schneller und anderen Vergleichen. Der Gedanke an ein Miteinander und Lösungen, welche die Bedürfnisse aller berücksichtigen, können sich die meisten Menschen gar nicht vorstellen.
Wir sind trainiert, über Kompromisse nachzudenken. Das bedeutet in der Regel, dass jeder etwas von seinem Wunsch abgibt – alle verlieren dabei. Auf Bedürfnisebene können neue Lösungsideen entwickelt werden, bei denen alle gewinnen. Manchmal ist das natürlich nicht ganz einfach, weil wir alle unsere „Lieblingsstrategien“ haben, an denen wir gern festhalten. Dabei ist es oft wichtig, darüber nachzudenken, welche Auswirkungen es hat, wenn wir unsere Lieblingsstrategie auf Kosten der anderen durchsetzen. Erst, wenn alle in einem Boot sitzen , können wir davon ausgehen, dass eine Entscheidung auch tragfähig ist und bleibt. Das Finden eines Konsens mag wohl etwas länger dauern, trägt aber sehr zum Erreichen von nachhaltigen Lösungen und der Verbesserung von Beziehungen bei.
Eine Sensibilisierung kann dazu beitragen, dass wir besser verstehen, warum wir bestimmte Probleme haben. So wird es möglich, mit unseren Mitmenschen und Kollegen in einen echten Kontakt zu kommen. Angespannte Beziehungen sind oft eine schwierige Grundlage, um gemeinsam erfolgreich Projekte zu bearbeiten. Anspannung und nicht gelöste Konflikte kosten viel Aufmerksamkeit, Kraft und Geld – laut einer Studie deutschen Unternehmen mehrere 100 Millionen Euro jährlich.
Bettina Ruggeri: Am deutlichsten kann man eine „gewalttätige“ Kommunikation am entstehenden Widerstand erkennen. Wenn uns ein „Nein“ oder ein Widerspruch entgegenkommt, hat unser Gesprächspartner vermutlich eine der Kommunikationssperren nach Thomas Gorden wahrgenommen. Dies braucht noch nicht einmal immer unser persönliches Zutun. Wir Menschen sind es gewohnt, alle Informationen erst einmal mit unseren eigenen Erfahrungen abzugleichen und zu bewerten. Oftmals „hört“ unser Gegenüber auch etwas anderes, als das, was wir sagen möchten. Wenn wir diesen Widerstand bemerken, können wir nachfragen und das Missverständnis ausräumen.
Die meisten Menschen kennen innere Dialoge wie diese: „Ach, schon wieder hast du dich wie ein Idiot benommen“ oder „Ach, das hat schon wieder nicht geklappt – ich bin ein echter Loser“. Dies sind deutliche Anzeichen für einen gewalttätigen Umgang mit uns selbst. Darüber hinaus gibt es auch Verhaltensweisen, in denen wir nicht gut mit uns umgehen. Wenn wir z. B. Nur „um des lieben Friedens willen“ Kompromissen zustimmen. Oder wenn wir aus Angst schweigen, weil wir befürchten, dass „es sowieso nichts bringt“.
Bettina Ruggeri: Marshall Rosenberg hat die Giraffe als Symbol für die gewaltfreie Kommunikation gewählt, weil sie das Lebewesen mit dem größten organischen Herzen auf unserem Planeten ist. Der Wolf hingegen ist oft die Stimme des Kampfes und der Kritik. Diese Figuren können dabei unterstützen, die eigenen Stimmen besser zu unterscheiden. Wir alle haben Wolfsstimmen in uns und erleben sie im täglichen Miteinander. Es ist auch nicht das Ziel, die Wölfe in und um uns herum auszumerzen. Vielmehr geben uns die Wölfe deutliche Hinweise, dass es im Augenblick unerfüllte Bedürfnisse gibt. Dies kann man zum Anlass nehmen, die Anliegen zu hinterfragen und zu würdigen.
Bettina Ruggeri: Die Gewaltfreie Kommunikation ist ein zentraler Pfeiler in meiner Arbeit. 80 Prozent nutze ich sie, um mir selbst Empathie zu geben, zum Beispiel wenn mir etwas nicht so gut gelungen ist oder ich mit Widerständen umgehen muss. Sie ist unglaublich hilfreich in den Gesprächen mit anderen, weil sie dabei unterstützt, ein gleichberechtigtes Gespräch auf gleicher Augenhöhe zu führen. Natürlich gibt es auch Situationen, in denen sich nicht alle Beteiligten gut fühlen. Dann kann ich durch aktives Zuhören und Wiedergabe des Gehörten dazu beitragen, dass die unerfüllten Bedürfnisse gesehen und verstanden werden. Das allein hilft oftmals, um wieder in Verbindung mit meinem Gegenüber zu kommen.
Bettina Ruggeri: Wenn ich Glück habe und in mir selbst ruhe, dann versuche ich, auf die Stimmung meines Gegenüber einzugehen und herauszufinden, welches Bedürfnis hinter dem Verhalten steht. In der Regel brauche ich dazu auch erst einmal Selbst-Empathie und versuche mein Bedürfnis nach einem respektvollen Umgang und friedlichem Miteinander anzuerkennen. In schweren Momenten bitte ich um eine Pause, um mir erst Zeit für mich zu nehmen. Meine Erfahrung zeigt mir, dass wir alle Punkte in uns haben, die uns wie Raketen losschießen lassen, wenn sie unangenehm berührt werden. Die GFK kann dazu beitragen, mich mit diesen Punkten zu beschäftigen und einen rechtzeitigen Ausstieg aus der Situation zu üben. Wenn ich selbst gut „versorgt“ bin, gelingt es mir meist viel besser, wieder Kontakt mit meinem Gegenüber aufzunehmen.
Bettina Ruggeri: Oftmals beginnt eine Phase des Schweigens, in der den Menschen auffällt, wie viel ihres Lebens mit Bewertungen zu tun hat. Die neuen Worte stehen am Anfang oft noch nicht zur Verfügung. Mit der Zeit wird der Umgang miteinander meist offener. Wenn die Menschen erkennen, dass sie nicht verantwortlich für die Gefühle und Bedürfnisse der anderen sind (und umgekehrt) und somit die „Schuld-Frage“ unwirksam wird, dann tritt Entspannung ein. Schon allein die Versuche, Probleme gewaltfrei anzusprechen, tragen oftmals zur Entlastung bei, weil gesehen wird, was mein Gegenüber „wirklich“ will.
Das Erleben, dass alle Bedürfnisse Platz haben dürfen, trägt auch dazu bei, seine eigenen Bedürfnisse an manchen Stellen zurücknehmen zu „können“. Wenn die Menschen erleben, dass ihre Bedürfnisse gesehen und gehört werden, dann ist dies wie eine geöffnete Tür für neue, konstruktive Begegnungen. Wir Menschen tragen gern dazu bei, das Leben der anderen zu bereichern – vorausgesetzt wir dürfen dies freiwillig tun.
Bettina Ruggeri: Nein, die GFK kann die Probleme nicht selbst lösen. Sie ist eine Methode, die sich allmählich zu einer inneren Haltung weiterentwickeln kann. Die GFK trägt nicht dazu bei, nie mehr verärgert, traurig oder enttäuscht zu sein. Ein Leben mit der GFK bedeutet auch nicht, dass wir nie mehr streiten und immer leise miteinander sprechen. Sie kann dazu beitragen, besser mit sich selbst und den eigenen Gefühlen in Kontakt zu sein. Oder schneller mit anderen in Verbindung zu kommen, indem wir auch deren Bedürfnisse hinter deren Verhalten akzeptieren.
Wichtig dabei ist die Erkenntnis, dass wir das Verhalten eines Menschen nicht gleichzeitig akzeptieren müssen, wenn wir Verständnis für die dahinterliegenden Bedürfnisse haben. Die GFK erhöht die Chance enorm, meine Anliegen zu erfüllen, weil ich lerne, diese auch auszudrücken. Sie ist keine Sprache der Manipulation, die andere „dazu bringt“, das zu tun, was ich mir wünsche. Das Bedürfnis nach Autonomie und Selbstbestimmung steht allen Beteiligten zu.
Interview 2015
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